Die Tage werden mehr, an denen ich mich frage warum die Menschen in diesem Land so sind wie sie sind. Eine ewige Unzufriedenheit mit allem und jenem. Tage an denen ich mich ertappe selbst zu jammern aber mir einbilde mich immer noch genug zu hinterfragen. Mir ist bewusst, das ich einen Job habe, ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen, Gesundheit und ab und an auch etwas Luxus. Im Gegensatz zu Millionen anderen Menschen auf dieser Welt. Tagtäglich komme ich von der Arbeit mit Klagen im Kopf über Gott und die Welt. Nie ist es genug, nie reicht irgendetwas. Immer ist diese Unzufriedenheit in den Köpfen da, wird sie geäussert und ich stehe baff erstaunt da, bin teilweise sprachlos und verstehe es einfach nicht. Es zieht sich durch alle Altersschichten, ist unabhängig vom Bildungsniveau und wenn ich es auf Patienten beziehe auch unabhängig von schwere der Erkrankung. Eine Nation der ewig Unzufriedenen, der Meckerer und Egoisten. Für heute wäre dann auch mein persönlicher Beitrag zum Thema Unzufriedenheit geleistet...
Avalon71 - 7. Aug, 22:25
Im Kopf eine imaginäre Liste mit Dingen die ich machen will. Vom Bügeln über Saubermachen bis das Altpapier entsorgen. Immer das Gefühl nie genug zu machen. Immer zu sehen was an Arbeit noch anfällt. Selbst den Druck zu erzeugen, egal wieviel schon geschafft ist. Nie hört es auf, eine der wenigen Sachen die ich wirklich perfekt beherrsche. Selten, das ich sehe was geschafft ist sondern nur das was auf der Liste noch ist. Ich bin müde, kaputt, zwei Wochen Arbeit liegen hinter mir und ich frage mich, wie berufstätige Frauen das schaffen die noch Kinder großziehen. Mir wächst der Alltag so oft über den Kopf, der Anspruch ist höher als das was mein Körper leisten kann.
Avalon71 - 3. Aug, 12:59
Manchmal höre ich ewig nichts von ihm und irgendwann ist er dann wieder da. Vertrautheit die nie vergeht. Er sah gut aus, erholt, entspannt. Wir sind durch Matsch gegangen, haben geredet, geschwiegen. Wir waren uns näher als Freunde das sein sollten. Lippen, die ich kannte, Hände, die ich bereits gespürt hatte. DIe Situation hat mich überfordert, auch wenn ich mir sehnlichst gewünscht habe ihm noch näher zu sein, er alle Türen für mich geöffnet hatte. Im Kopf schrie es Nein. Ich wusste nicht warum, in solchen Momenten schweigt mein Kopf eigentlich immer, ich schiebe alle Konsequenzen beiseite, egal ob ich wochenlang danach leide. Es tat mir leid irgendwann zu gehen, ihn ein letztes Mal zu berühren, seinen Mund zu spüren und doch bin ich geflohen. Erst Stunden später wusste ich was es war. Ich wollte nicht alleine aufwachen, ich wollte Ruhe und Zeit, ich wollte nicht hastig kosten und loslassen.
Avalon71 - 1. Aug, 19:34
Sie liegt da, in ihrem Bett, den Teddy immer fest an ihre Brust gedrückt und strahlt dich an. Sie ist 77 Jahre alt und lebt in ihrer ganz eigenen Welt. Von Geburt an ein besonderer Mensch. In ihrer Welt gibt es kein Gut oder Böse, sie unterscheidet nicht und die Gedanken die Andere haben sind ihr fremd. Ich glaube, das sie glücklicher ist und viele Sorgen ihr fern sind. Als ich sie heute Morgen vom Gipsraum abgeholt habe freute sie sich, winkte beim Fahren einer anderen Patientin zu als ihr Bett an ihr vorbei fuhr. Die Patientin winkte zurück, schaute auf ihren Teddy, erst etwas irritiert, und als sie meinen Blick traf, dann entspannter.Das selbe wiederholte sich auf dem Stationsflur, Besucher mit Taschen bepackt gingen vorbei und sie winkte ihnen freudenstrahlend zu. Kleine Dinge die ihr wichtig sind, das Foto mit ihrer Schwester auf dem Nachttisch. Sie erzählt Geschichten zu diesem Foto, redet von sich in der dritten Person. Es fasziniert mich immer wieder, besondere Menschen, die ihr eigenes kleines Glück haben, das Aussenstehende nicht begreifen, nicht erahnen. Eine Liebenswürdigkeit an dem sich so unendlich viele ein Beispiel nehmen könnten.
Avalon71 - 28. Jul, 15:40
Ein Arbeitstag der geprägt war von sehr viel Arbeit. Kleine Randerscheinungen die ärgern. Der blaublütige Doc, der immer meint wir wären alle grenzdebil und nur er hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Irgendwann, wenn bei seiner Altersangabe auch eine 3 vorne steht, wird er hoffentlich begreifen, das ein akademischer Titel nicht alles ist. Die besondere Sorte MTAs in diesem Haus, die sich sehr oft, wie auch heute, das Recht rausnehmen Krankenschwestern anzubrüllen. Meine Kollegin, die Tränen in den Augen hatte. Patienten, die unzufrieden sind aber nicht artikulieren können wieso. Eine aufgebrachte Mutter eines Teenagers, die in der Verwaltung tätig ist und meinte es wären untragbare Zustände, weil ihr Kind in einem 4Bettzimmer liegt und das nicht zumutbar wäre. Nachdem ich gegen halb neun den fünften Zugang des Nachmittages aufgenommen hatte, wir unmengen an Blut in den OP getragen hatte, wo um das überleben einer 85 jährigen Patientin gekämpft wurde und ich nicht mehr genau wusste was ich den ganzen Tag eigentlich getrieben habe, stellte sich mir mal wieder die Frage in was für einer Welt viele leben und was sie glauben was Krankenschwestern eigentlich den ganzen Tag so machen. Ausser stricken, Kaffee trinken und rauchen vermutlich nicht viel.
Avalon71 - 25. Jul, 22:05
Meine Gefühle fahren zur Zeit Achterbahn. Momente und Tage wo es mir gut geht, dann rast die Bahn wieder in Tiefen hinab, die ein ganz bescheidenes Gefühl im Bauch hinterlassen. Stimmungen so unterschiedlich wie gerade das Wetter. Wenn ich ehrlich zu mir bin und ganz tief in mich hineinhorche, dann weiß ich was die Seele wünscht. Aber Wünsche kann man nicht am Fahrkartenschalter kaufen.
Avalon71 - 24. Jul, 11:28
Als wir den Raum betraten war ich überrascht. Wir waren nur hier gelandet, weil nebenan es voll war. Vor dem Kino noch etwas trinken, essen und Zeit zum reden haben. Der Wartehallencharakter war weg, eine sehr lange Theke, kleine Nischen, Sofas, Ledersessel. gedämpftes Licht, Soulmusik im Hintergrund. Ich liess mich in ein Sofa sinken, schaute, und fühlte mich gleich wohl. Keine 0815-Kneipe mehr, sondern ein Platz wo man es länger aushalten kann. Die Bedienung kam, grinste mich frech an und sagte " einen Milchkaffee, oder willst du auch noch was anderes?" Ich musste lachen, erkannte ihn. Er hat in einer Kneipe gearbeitet, wo ich vor Jahren gerne hingegangen bin. Dann wechselte der Besitzer, das Ambiente und ich bin dort nicht mehr hingegangen. Erinnerungen kamen hoch, Einnerungen an alles mögliche. Ein ganz grauenhaftes Date, ein langer Abend auf dem Riesensofa das dort stand, eine Bedienung die sich nicht traute den Mann und mich in unserer Zweisamkeit dort zu stören. Nachmittage mit der besten Freundin, viel Kaffee und langen Gesprächen. "Du hast da und da mal gearbeitet " sagte ich, lächle, "vorhin war ich mir nicht sicher als ich dich gesehen habe ob du es bist" Wobei er eigentlich nicht zu übersehen ist, extrovertiert, immer sehr stylisch, für jeden weiblichen Gast immer ein Gespräch und einen Scherz auf den Lippen. " Genau" sagt er, " du hast immer Milchkaffee getrunken, ohne Ausnahme, und warst oft mit deiner Freundin da" Gestern Abend habe ich dann aber doch was anderes getrunken und festgestellt, das diese Stadt, die sich Großstadt schimpft, doch auch nur ein Dorf ist.
Avalon71 - 22. Jul, 17:05